Oder:

Nach der Pflegesatzverhandlung ist vor der Pflegesatzverhandlung

Tagespflegen schließen aus Unwirtschaftlichkeit. Tagespflegen melden hohe Personalkostensteigerungen aufgrund des Tariftreuegesetzes. Tagespflegebetreiber sehen Insolvenzgefahr.

Kennen Sie solche oder ähnliche aktuelle Aussagen aus Ihrem beruflichen Umfeld? Im Herbst 2022 hat sich nach Corona, Belegungsverringerungen und den Verpflichtungen aus dem Tariftreuegesetz die wirtschaftliche Situation für viele Tagespflegen in Deutschland verschärft.

Dagegen gibt es Lösungen.

Teil 1: Grundlagen

Die wirtschaftliche Grundlage jeder Tagespflege wird über die Pflegesatzverhandlung abgebildet, die für einen prospektiven Zeitraum (in der Regel 12 Monate) kalkuliert und verhandelt wird.

In den §§ 84 bis 88 Sozialgesetzbuch XI sind die Grundlagen dazu beschrieben:

  • Pflegesätze sind die Entgelte für die teilstationären Pflegeleistungen der Tagespflege sowie für die Betreuung und für die medizinische Behandlungspflege. (§84 (1) SGB XI)
  • Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein. Sie sind nach dem Versorgungsaufwand der Pflegebedürftigen in fünf Pflegegraden einzuteilen.
  • Die Pflegesätze müssen einer Tagespflege bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung seines Unternehmerrisikos. Überschüsse verbleiben der Tagespflege, Verluste sind von ihr zu tragen. (§84 (2) SGB XI)
  • Der Träger einer Tagespflege ist ab dem 01.09.22 verpflichtet, Gehälter nach einem Tarif zu zahlen oder sich einem Tarif anzulehnen oder das ermittelte regionale Entgelt anzuwenden. Pflegekassen dürfen ab diesem Zeitpunkt keine neuen Versorgungsverträge mit Trägern von Tagespflegen schließen, wenn diese keine entsprechenden Meldungen (über die Daten-Clearingstelle) abgegeben haben. (§ 84 (7) SGB XI)
  • Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze werden zwischen dem Träger der Tagespflege und den Leistungsträgern wie Pflegekassen, Sozialhilfeträger etc. vereinbart. § 85 (1) SGB XI
  • Die Pflegesatzvereinbarung ist für jede Tagespflege gesondert abzuschließen.
  • Die Pflegesatzvereinbarung ist im Voraus, vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode der Tagespflege, für einen zukünftigen Zeitraum zu treffen.
  • Die Tagespflege hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen.
  • Auf Verlangen einer Vertragspartei gehören auch pflegesatzerhebliche Angaben zum Jahresabschluss entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer Pflegebuchführung, zur personellen und sachlichen Ausstattung der Tagespflege einschließlich der Kosten sowie zur tatsächlichen Stellenbesetzung und Eingruppierung. Dabei sind insbesondere die in der Pflegesatzverhandlung geltend gemachten, voraussichtlichen Personalkoten einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum bisherigen Pflegesatzzeitraum vorzuweisen. §85 (3) SGB XI

Dies bedeutet u.a.: Die Refinanzierung der laufenden Kosten der Tagespflege wird hauptsächlich über die vereinbarte Vergütung mit den Pflegekassen gedeckt. Ein realistisches und stabiles Fundament (durch gut verhandelte Pflegesätze) entscheidet über die wirtschaftliche Ausgangslage und Zukunft der Tagespflege.

Und: Es ist eine individuelle Verhandlung auf der Basis von Struktur- und Rahmenbedingungen, die in den einzelnen Bundesländern verschieden festgelegt sind und zu unterschiedlichen Pflegesätzen von Tagespflege zu Tagespflege, von Region zu Region, von Bundesland zu Bundesland führen.

Die Vergütungsvereinbarung ist das Ergebnis der Pflegesatzverhandlung und wird i.d.R. für 12 Monate abgeschlossen (und läuft so lange weiter, bis der Tagespflegebetreiber die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen zur neuen Vergütungsverhandlung auffordert).

Der Träger einer Tagespflege schließt sowohl mit den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag und eine (jährliche) Vergütungsvereinbarung als auch mit dem Tagespflegegast (oder seinem gesetzlichen Betreuer) einen Vertrag über den Aufenthalt in der Tagespflege ab.

In § 85 Abs 3 SGB XI ist dazu beschrieben: „[Die Tagespflege] hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der […] Interessenvertretung der [Tagespflege-Gäste] beizufügen.“

Aus der Praxis empfehlen wir, einen Antrag ca. 4-8 Wochen vor dem geplanten neuen Zeitraum zu stellen und gleichzeitig die Tagespflege-Gäste und deren Vertrauensperson zu informieren.

§ 85 Abs 5 SGB XI ermöglicht Trägern von Tagespflegen, die Schiedsstelle anzurufen, wenn 6 Wochen nach Antragseingang keine neue Pflegesatzvereinbarung geschlossen wurde. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass der Antrag mind. 6 Wochen vor dem neuen Antragszeitraum abzugeben ist.

Folgende Begriffe sind für die Finanzierung einer Tagespflege relevant:

1)PflegesatzFür den pflegebedingten Aufwand und anteilige Energiekosten, Verwaltungsbedarf etc.
2)UnterkunftFür anteilige Personalkosten der Hauswirtschaft, Energiekosten, Wirtschafts- und Verwaltungsbedarf etc.
3)VerpflegungFür die Lebensmittelkosten
4)Zusätzliche Betreuung nach § 43b SGB XIFür die Personal- und Sachkosten der zusätzlichen Betreuungskraft (bundesweiter Schlüssel 1:20)
5)FahrtkostenFür die Personal- und Sachkosten des Fahrdienstes
6)ZusatzleistungenFür zusätzliche Angebote, die die Tagespflege im Rahmen eines Privatzahlerkataloges anbietet
7)InvestitionsanteilFinanzierung der Investitionen (Miete oder Kreditkosten, Abschreibung des Inventars)