Wie sie ticken, was sie unterscheidet, wie es weitergeht. Warum das Führen und Leiten für Führungskräfte in der Pflege und die Zusammenarbeit im Team in der ambulanten Pflege nicht immer leicht ist. Der nachstehende Bericht ist in ähnlicher Form in der „Häuslichen Pflege“ 3.2019 veröffentlicht worden.

In der Pflegeausbildung lernen Leitungen und Mitarbeiter/innen, die Patienten mit ihrer jeweiligen Lebensgeschichte zu achten. Ein hilfreiches Instrument dazu ist die Biographiearbeit, die in allen Pflegeeinrichtungen und -formen in verschiedenen Ausprägungen betrieben wird.

Die generelle Erkenntnis lautet, dass die Patienten oder Bewohner oder Kunden individuell sind und so auch in ihrer jeweiligen Hilfe- und Pflegebedürftigkeit zu achten sind.

Übertragen wir diese m.E. richtige Wahrnehmung und Feststellung, die sich auch in den verschiedenen Qualitätsmanagementsystemen der Pflegedienste wiederfinden, auf die pflegenden und betreuenden Mitarbeiter/innen, so bedeutet dies, dass in der ambulanten Pflege täglich verschiedene Mitarbeiter/innen mit jeweils unterschiedlichen Hintergründen, Ausbildungen, familiären Situationen, aktuellen Freuden oder Belastungen zusammenkommen.

Für die Pflegedienstleitung ist daher wichtig zu wissen:

  • In welcher Lebensphase befindet sich der jeweilige Mitarbeiter?
  • Aus welcher „Generation“ kommt er?
  • Was sind gerade aktuelle Themen und Belastungen beim Mitarbeiter?

Was wissen Sie als Leitung von Ihren Mitarbeitern? Haben Sie einen Stellenplan mit dem jeweils aktuellen Stundenumfang? Wissen Sie, wann Ihre Mitarbeiter Geburtstag haben? Wissen Sie, wo Ihre Mitarbeiter/innen jeweils wohnen? Wer selbstpflegebedürftige Eltern oder Angehörige zu Hause hat? Wer gerade in Trennung lebt? Bei wem das Kind vielleicht in einer schwierigen Phase ist?

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Es geht nicht darum, umfangreiche Dossiers von der Mitarbeiterschaft anzulegen. Sondern darum, die je eigenen Lebenssituationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kennen, um auf diesem Hintergrund eine für alle Seiten und den Betrieb zufriedenstellende und wertschätzende Arbeitssituation zu schaffen.

Und zur Klarstellung vorab: Mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht ein arbeitsrechtliches Dienstverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, die sich im Dienstplan und der Erbringung der pflegerischen und betreuerischen Leistung widerspiegelt.

Daher kann nicht hieraus abgeleitet werden, dass die beste Lösung ist, Mitarbeiter/innen „in Watte“ zu packen und sich nur nach deren Wünschen und Befindlichkeiten zu richten.

Ein Beispiel zum Verständnis:
In einem ambulanten Pflegedienst fiel der Leitung auf, dass eine teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterin häufig und vermehrt jeweils einzelne Tage ausfiel. Eine kurze „Krankmeldung“ am jeweiligen Morgen erfolgte.

Die Leitung nahm sich bei der nächsten Gelegenheit Zeit für ein Personalgespräch mit dieser Mitarbeiterin. Dort erfuhr sie, dass die Mitarbeiterin, die nach einer Trennung mit ihrem kleinen Kind allein lebt, morgens häufig nicht pünktlich zur Arbeit kommen kann, weil ihre Mutter, die zugesagt hatte, sich während der Arbeitszeit beim Pflegedienst um das Kind zu kümmern, aber auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, sich häufig verspätet bzw. die Anschlussverbindungen nicht pünktlich erreichen konnte.

Nachdem die Thematik und Problematik deutlich wurden, vereinbarte die Pflegedienstleitung mit der Mitarbeiterin (befristet) eine neue Anfangszeit für die tägliche Arbeit. Dies war gut möglich, weil im ambulanten Pflegedienst schon ein flexibler Dienstbeginn vorhanden war und nicht alle Mitarbeiter/innen mit ihrerSchicht um 6.30 h beginnen mussten.

Der Anteil der o.a. Krankentage ging schlagartig zurück.

Nun werden Sie als Pflegedienstleitung möglicherweise denken: Wieso sagt das die Mitarbeiterin nicht von sich aus?
Gehen Sie als Leitung nicht davon aus, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von sich aus „trauen“, persönliche Belastungen vorzutragen.

Ein weiterer Effekt innerhalb der Mitarbeiterschaft des ambulanten Pflegedienstes war, dass durch das Verhalten der Pflegedienstleitung und die gemeinsam abgesprochene offene Kommunikation an alle Mitarbeiter/innen bzgl. derBegründung und Erklärung, warum diese Mitarbeiterin ca. 30 Min. später anfangen konnte, eine verbesserte und offene Kommunikation erreicht wurde.

Und dann noch die weiteren Unterschiede der vier Generationen in der Pflege:

Fragen Sie sich manchmal, warum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so anders reagieren oder sich verhalten als Sie? Gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Patienten einfach „duzen“ und sich wundern, wenn Sie als Pflegedienstleitung oder Kollegin das nicht für angemessen halten?

Haben Sie sich vielleicht auch schon einmal an der Kasse bei Rewe oder Aldi oder Edeka gewundert, warum Sie von einer jüngeren Verkäuferin beim Einkaufen einfach geduzt werden?
Die Antwort liegt in den Besonderheiten der vier Generationen, die heute in jedem ambulanten Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst tätig sind. Eine Übersicht finden Sie im nachstehenden Schaubild.

Achten Sie auch einmal auf die Lokalradios in Deutschland: Wie werden Sie dort angesprochen? (Antwort: In der Regel mit „Du“ oder „Ihr“, weil die Zielgruppe der Lokalradios häufig Hörer im Alter von 14-49 Jahren ist.)

Die Mitarbeiter sind nicht in vier „Schubladen“ einzuordnen, so soll dies nicht verstanden werden. Die Ausprägungen der Verhaltensweisen, die Hintergründe aus der Kindheit, die Lebenseinstellungen sind jedoch tendenziell in den nachstehenden Generationen beschrieben. Es kommt nicht auf das Geburtsjahr an, sondern auf Werte- und Verhaltensmuster, mit denen Mitarbeiter bei Ihnen tätig sind. Ihnen werden als Pflegedienst-leitung schnell Mitarbeiter einfallen, deren Grundhaltungen mit deren Altersbezügen der Generationen zuzuordnen sind.

Vier Mitarbeitergenerationen im ambulanten Beratungs-, Betreuungs-und Pflegedienst

In der ambulanten Pflege gibt es derzeit vier Generationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (und Sie gehören als Pflegedienstleitung auch zu einer):

Merkmale der Generation Baby-Boomer

Die Generation der Boomer/ Babyboomer (bis ca. 1965 geboren, heutige Mitarbeiter im Alter von ca. 52 – 65 Jahre) ist in einer optimistischen Zeit mit wirtschaftlichem Aufschwung groß geworden. Diese Mitarbeiter bringen eine pflichterfüllende Arbeitshaltung dem Arbeitgeber und den Patienten gegenüber mit. Sie zeichnen sich noch durch ein starkes „Leben, um zu arbeiten“ aus. Die hohe Pflichterfüllung gegenüber dem Arbeitgeber erschwert dieser Mitarbeiterschaft auch mal „Nein“ zu sagen, wenn die Pflegedienstleitung wieder mal anfragt, für z.B. erkrankte Mitarbeiter einzuspringen oder Patienten wiederholt Wünsche und Forderungen (z.B. auf persönliche Betreuung „nur durch diese Schwester“) äußern. „Ehda-Leistungen, versteckte Leistungen, heimliche Leistungen“ werden oftmals zusätzlich erbracht, obwohl diese zwischen Pflegedienst und Patient nicht vereinbart sind und abgerechnet werden. Das Wohlergehen der Patienten steht bei dieser Gruppe an erster Stelle; eigene Bedürfnisse werden dem Arbeitsleben untergeordnet. Diese Generation ist im Allgemeinen ein guter Teamarbeiter, stets offen für Mehrarbeit und hat den Wunsch, alles recht zu machen.  Wirtschaftliches Denken in der Pflege ist oftmals schwierig. Aus dieser Haltung heraus fühlen sie sich bei Kritik und Konflikten allerdings schnell unwohl.

Merkmale der Generation X

Die Generation X (ca. 1965 – 1980 geboren, heutige Mitarbeiter im Alter von ca. 37 – 52 Jahre) ist zum großen Teil unabhängig und selbstständig aufgewachsen (Schlüsselkinder). Die ersten Berufserfahrungen fanden in Rezessionszeiten statt, teilweise musste sich der Arbeitsplatz hart erarbeitet werden bzw. wurde als Kind oder Jugendlicher erlebt, dass die Arbeitsplätze der Eltern nicht mehr sicher waren. Diesen Mitarbeitern ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beruf und Freizeit wichtig, aber das Wohlergehen der Gäste steht überwiegend dennoch im Vordergrund. Als Stichwort dafür ist der Begriff Work-Life-Balance bekannt geworden. Viele Mitarbeiter dieser Generation sind karriereorientiert, haben den Wunsch aber auch nach Abwechselungen, sie lassen sich aber nicht allein vom Geld motivieren, sondern wollen trotz Beruf weiterhin auch ein erfülltes Privatleben führen. Hier besteht in der Pflegepraxis eine gewisse Bereitschaft, auch außerhalb des Dienstplanes einzuspringen oder Zusatzaufgaben durchzuführen, aber nur in begrenztem Rahmen. Diese Altersklasse wendet einfache Technologien wie PC und Handy im Allgemeinen sicher an.

Merkmale der Generation Y (Millennials)

 Die Generation Y / Millennials (ca. 1980 – 1995 geboren, heutige Mitarbeiter zwischen 23 und 38 Jahre) sind die jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ambulanten Pflege. Man kann sie als die erste Generation beschreiben, die größtenteils in einem Umfeld von Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen ist. Neue Technologien werden sicher beherrscht. Die Begriffe „hohe Multitaskingfähigkeit“ und „IT-Affinität“ zeichnet diese Generation aus. Globales Denken und Wahrnehmung der Welt sind weitere Merkmale. Anstelle von Status rücken die Freude an der Arbeit sowie die Sinnsuche ins Zentrum.  Durch meist sehr fürsorgliche und überbehütende Eltern geprägt, zeigen sich in dieser Generation oft Unsicherheiten im Umgang mit schwierigen Personen, sowie eine gewisse Unselbständigkeit, Probleme selbstbestimmt zu Lösen.

Mehr Freiräume und die Möglichkeit zur Selbstgestaltung sowie mehr Zeit für Familie und Freizeit sind andererseits zentrale Forderungen der Generation Y: Sie will nicht mehr dem Beruf alles unterordnen, sondern fordert eine Balance zwischen Beruf und Freizeit, der sich z.T. in Balance zwischen Freizeit und Beruf ändert. Gleichzeitig besteht aber auch Interesse und zusätzliches Engagement an Themen oder der Arbeit, wenn der Sinn und die Wertigkeit der zusätzlichen Anfrage oder Aufgabe erkennbar sind.

Merkmale der Generation Z

Die nachfolgende Generation Z (ca. 1995 – 2010geboren, heutige Auszubildende oder Arbeits- und Berufsanfänger) ist wieder ganz anders zu verstehen. Sie sind geprägt durch eine gewisse Unsicherheit, die aus globalen und gesellschaftlichen Fragestellungen, Problemen und Zukunftsthemen hervorgeht. Es gibt z.T. ambivalenteVerhaltensweisen, die kritisch mit „arbeitsscheu, verwöhnt, Egoisten oder Kuschel-Kohorte“ bezeichnet werden. Die Sinnhaftigkeit und Wertigkeit des eigenen Tuns, sowie der Wunsch nach Abwechslung haben einen hohen Stellenwert; gleichzeitig aber ist die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber gering. Aus diesem Grund werden in dieser jungen Generation selten Führungspositionen angestrebt. Wichtig für diese Mitarbeiter sind verlässliche Arbeitszeiten, unbefristete Arbeitsverträge und klar geregelte Strukturen im Job.

Die vier Generationen können in folgender Übersicht gegenübergestellt werden:

(c) Wawrik Pflege Consulting 2018

Was bedeutet dies für den Alltag in der ambulanten Pflege?

Die deutlich unterschiedlichen Ansätze,Verhaltensmuster der verschiedenen Generationen kann zu Spannungen innerhalb eines Teams führen, wenn diese nicht seitens der Pflegedienstleitung beachtet und entsprechend berücksichtigt wird. Dabei ist auf die Fairness und mögliche Gleichbehandlung seitens der Leitung zu achten. Wenn z.B. mehr Patienten eine Zusage gegeben wurde als „Netto-Arbeitsstunden“ der Mitarbeiter zur Verfügung stehen und die Leitung eher Baby-Boomer-Mitarbeiter bittet, Überstunden oder eine zusätzliche Schicht zu erbringen, dann ist dies aus Leitungssicht sicherlich der einfachere Weg (Baby-Boomer können schlecht „nein“ sagen), führt aber auf Dauer auch bei dieser Mitarbeitergruppe zur Unzufriedenheit. Gleichzeitig lernen alle anderen Generationen von der Generation Y und Z, wenn diese nicht bereit ist, auszuhelfen und einzuspringen. Reale Aussage voreinigen Wochen von einer jungen Mitarbeiterin (Y), die gebeten wurde,kurzfristig am nächsten Morgen auszuhelfen, weil eine Kollegin erkrankt ist: „Morgen früh habe ich erst noch einen Friseurtermin. Danach kann ich kommen.“

Und welche Auswirkungen hat dies für das Leitungsverhalten der Pflegedienstleitung?

Waren die Baby-Boomer noch von der (z.T. lebenslangen) Loyalität einem Arbeitgeber gegenüber geprägt, so nimmt dieses Verhalten von Generation zu Generation ab. Generation Y und Z engagieren sich häufiger wenige Jahre bei einem Träger und wechseln dann, um andere Erfahrungen zu machen (oder mal eine ganz andere Tätigkeit).

Lebensläufe weisen somit einen häufigeren Wechsel von Arbeitgebern auf. Wie wird dies von einer Baby-Boomer-Pflegedienstleitung bewertet? „Job-Hopper stelle ich nicht ein?“ Mit dieser früheren Haltung vieler älterer Leitungskräfte kann für die Zukunft schlecht weiteres Personal gefunden werden.

Für Pflegedienstleitungen (besonders aus der Baby-Boomer-Generation) ist es daher auch hilfreich, die Generationsunterschiede zu verstehen, um nicht jede Kündigung eines Mitarbeiters als persönlichen Vorwurf des schlechten Leitungsverhaltens zu interpretieren (außer, genau dieser wäre als Kündigungsgrund auch genannt worden).

Lösungsansätze für die Zukunft

Ein erster Schritt ist das Wissen um die Besonderheiten und Unterschiede der vier Generationen, um Verhalten und Reaktionen von Mitarbeitern als Leitung besser verstehen zu können.

Ein weiterer Punkt ist eine klare und eindeutige Führung, die – mehr als in der Vergangenheit geschehen – erklärt und kommuniziert und den Sinn und Wert der Aufgabe, des Projektes oder der Tätigkeit benennt.
Leitung muss erklären, sich aber nicht rechtfertigen.

 Drittens: Heute bewirbt sich der ambulanteDienst beim Interessenten, nicht umgekehrt. Leitung sollte daher mehr als in der Vergangenheit darauf vorbereitet sein, ehrlich und authentisch die Besonderheiten und Rahmenbedingungen des ambulanten Dienstes kurz und knapp und motivierend erklären zu können.

Viertens: Maßstab der Entwicklung des ambulanten Dienstes sind die zur Verfügung stehenden „Netto-Arbeitsstunden derMitarbeiter“. Jede geeignete Person sollte eingestellt werden. Arbeit gibt es genug heute und in Zukunft. Die Betonung liegt aber auf „geeignete Person“. Und die Orientierung an der „Netto-Arbeitszeit“ bedeutet auch einen eventuell partiellen Aufnahmestopp für neue Pflegebedürftige und Patienten, wie es in vielen Regionen in Deutschland heute schon stattfindet.

Fünftens: Ein verlässlicher Dienstplan unter der Maßgabe des vierten Punktes ist ein wichtiges Instrument für die Zukunft. Mitarbeiter aus der Baby-Boomer-Generation haben z.T. unter Protest noch das dritte oder vierte Wochenende hintereinander gearbeitet (Pflichterfüllung gegenüber den Patienten). Mitarbeiter der Generation Y und Z lehnen dies in der Regel ab und verweisen auf die Gültigkeit des ausgehängten Dienstplans.

Sechstens: Eine wichtige Aufgabe der Leitung ist die Begrüßung, die Führung und die Verabschiedung von Mitarbeitern.Geeigneten Kräften sollte auch nach deren Kündigung kommuniziert werden, dass die „Tür weiter offenbleibt“. Es gibt viele Beispiele, dass Mitarbeiter der Generation X, Y und Z nach einer Tätigkeitsphase und anschließender Kündigung wiederum nach mehreren Jahren wieder „anklopfen“ und Interesse am Pflegedienst zeigen.

Führungskräfte müssen lernen, die neuen Bedingungen und Realitäten in ihr Führungsverhalten zu übertragen.

Peter Wawrik und Karla Kämmer schreiben derzeit auch an einem neuen Fachbuch zum Thema: Generations- undLebensphasenorientiertes Personalmanagement in der Pflege. Die Veröffentlichung ist im Sommer 2019 geplant.