
Generationen in der ambulanten Pflege
Die 4. Generation der ambulanten Pflege ist nicht nur digital, sondern ein „vernetzter ambulanter Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst“.
Bis in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die ambulante Pflege vielfach durch einzelne Gemeindeschwestern durchgeführt, die oftmals in der kommunalen Gemeinde wohnte und zu Fuß, mit dem Fahrrad oder privatem Auto unterwegs war. Ich nenne dies Generation 1.0 der ambulanten Pflege.

In den 70er Jahren gab es dann in einer Vielzahl von Bundesländern landesrechtliche Veränderungen und Vorgaben, die dazu führten, dass die einzelnen Gemeindeschwestern zu „Sozialstationen“ oder „Pflegestationen“ zusammengefasst wurden. Diese wurden überwiegend durch Kirchen und/oder Wohlfahrtsverbänden oder Kommunen betrieben. Dies war die Generation 2 der ambulanten Pflege. Gründe für die politischen Vorgaben waren eine bessere Vertretungsmöglichkeit und eine beginnende Qualitätsdiskussion.

Eine große Veränderung in der Pflegelandschaft fand Anfang der 90er Jahre statt, als die Pflege politisch als „Markt“ definiert wurde und viele Pflegekräfte sich mit eigenen ambulanten Pflegediensten selbständig machten. Diese Entwicklung wurde besonders durch die Einführung der Pflegeversicherung und den Budgets für die ambulante Pflege ermöglicht. Seit dieser Zeit gibt es eine deutliche Vergrößerung der Dienste und die Ergänzung mit weiteren Angeboten wie z.B. Hausnotruf oder Betreuungsleistungen. Dies ist die dritte Generation der ambulanten Pflege.

Ende 2023 gab es in Deutschland 15.549 ambulante Pflege- und Betreuungsdienste, die durchschnittlich 70,8 Pflegebedürftige (SGB XI) je Pflegedienst betreut haben. (Quelle: Pflegestatistik 2023; Statistisches Bundesamt (Destatis) 2024.
Die Zunahme der Pflegedienste in den letzten Jahren zeigt aber eher nur eine qualitative Vergrößerung (Steigerung der Patientenversorgung und Mitarbeiter/innenbeschäftigungszahlen, Angebotsergänzungen wie Hausnotruf, Essen auf Rädern, Fahrdienst, Wohngemeinschaft, betreutes Wohnen).
Allen ambulanten Pflegediensten ist aber gemeinsam, dass sie aus der Pflege kommen und mit der Pflegedienstleitung als Gesamtleitung „pflegedominiert“ sind.
Wir sind heute an der Schwelle zur 4. Generation der ambulanten Pflege, dem „vernetzten ambulanten Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst“, die viele Pflegedienste strategisch schon überschritten haben.

Dabei sind parallele Themen und Entwicklungen, Chancen und Risiken in der ambulanten Pflege zu beachten:
- Den Paradigmenwechsel der Jahre 2017 – 2020, in dem verstanden werden musste, dass die Basis für die Weiterentwicklung eines Dienstes die vorhandene Netto-Arbeitszeit der Mitarbeiter/innen ist und ein partieller Aufnahmestopp für Anfragen von möglichen Patienten häufig wird.
- Die Digitalisierungsentwicklung, die es in der ambulanten Pflege eigentlich schon seit Jahren gibt, mit MDAs, weiterentwickelter Software, die digitale Dienst- und Tourenplanung mit GPS Unterstützung, Schnittstellen ins Rechnungswesen, eine zeitnahe Kommunikation über Änderungen in der Planung und Versorgung bei Patienten über MDAs oder Tablets, und natürlich die (mehr oder weniger gut funktionierende) digitale Abrechnung mit Krankenkassen.
- Der Fachkräftemangel, aber nicht nur bei examinierten Pflegefachkräften, sondern auch qualifizierten Betreuungskräften.
- Die Beratung und Unterstützung der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen nimmt eine größere Rolle ein und ist auch durch Vergütungsvereinbarungen gem. § 37.3 SGB XI mit den Pflegekassen aufgewertet worden.
- Ein Pflegedienst benötigt eine strategische Größe von ca. 100 – 200 Patienten oder mehr, damit er u.a. genügend Personalvolumen für Urlaubszeiten oder zur Vertretung hat. Wenn diese Größenanzahl überschritten ist, sollte über Innendiffernzierung (2 – 3 Teams an einem Standort) oder Teilung und Filialbildung nachgedacht werden.
Oder anders gesagt: Je kleiner ein Dienst ist, desto schwieriger ist er zu führen.
- Eine Reihe von Pflegediensten haben inzwischen eine Filialstruktur aufgebaut, um Synergien zu nutzen und marktfähiger zu sein.
- Größere Träger haben die ambulante Pflege in Netzwerke eingebunden, um Senioren verschiedenste Hilfen „aus einer Hand“ anbieten zu können.
- Pflegedienstleitungen sind rar und begrenzt verfügbar, weil die nachwachsenden Generationen häufiger keine „Karriere“ planen und Verantwortung ablehnen. Faire Bedingungen mit Pflegedienstleitungen, Transparenz in der Betriebsführung und auch Beteiligungsformen am Unternehmen können helfen, Pflegedienstleitungen zu finden und zu halten.
- Mitarbeiter, besonders Pflegefachkräfte sind Mangelware. Aber auch geeignete Pflege- Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte benötigt ein Pflegedienst. Geeignete Mitarbeiter/innen sollten eingestellt werden. Die Betonung liegt aber auf „geeignet“. Es wird genug Arbeit für alle Mitarbeiter/innen in Zukunft geben. Auch hier gilt, mit fairen Vereinbarungen als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Wir haben heute beides in Deutschland: Pflegedienste, die seit Monaten keine Bewerbung erhalten haben und andere, die weiterhin Initiativbewerbungen erhalten.
Das nachstehende Modell von „ambulanten Seniorendiensten 4.0“ ist keine Frage der abgebildeten Struktur eines Dienstes, sondern die Frage des Wertes der einzelnen Bausteine und Hilfen.

Die 4. Generation der ambulanten Pflege ist ein „Ambulanter Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst“, in dem nicht mehr als Hauptschwerpunkt die ambulante Pflege dominiert, sondern gleichberechtigt (nur in verschiedenen Ausprägungen und Volumen) die Beratung, die Betreuung und die Pflegeangebote miteinander vorhanden sind.
Wenn man aus Sicht der pflege- und hilfebedürftigen Senioren und deren Angehörigen denkt, dann steht als erstes die Frage nach umfassender (und auch wiederholt möglicher) Beratung an. Somit sollte eine qualitative Weiterentwicklung eines ambulanten Dienstes mit einem eigenen, qualitativ gut besetzten Beratungsteam beginnen.
Ebenso wird der Bereich der Betreuung und diverser Service-Leistungen in der nächsten Zeit deutlich zunehmen; also auch hier in gute Mitarbeiter/innen „investieren“ und diese Bereiche ausbauen.
Der Bereich, der aufgrund des Fachkräftemangels stagnieren wird, ist die bisher dominierende (und reglementierte) Pflege. Wenn dieser Bereich bisher ca. 90 % des Umsatzes eines ambulanten Pflegedienstes ausmachte, wird er zukünftig möglicherweise unter 50 % sinken.
Eine Koordinatorin im Quartier, die ehrenamtliche Angebote weiterentwickelt und Nachbarschaftshilfe fördert, wäre noch eine gute Ergänzung im neuen System. Hier könnten z.B. auch nachbarschaftliche neue Unterstützungen entstehen. Ggfls. kann dies sogar in Form eines Förderverein e.V. entwickelt werden.
Je nach Situation kann natürlich der Beratungs- und Servicebereich auch durch eine Koordinationskraft geleitet werden. Wichtig ist, dass jeder Bereich als eigenständiger Teildienst gesehen wird (der auch im Rechnungswesen und Controlling entsprechend so abgebildet wird).
Die Gesamtkonferenz der Leitungen/ Koordinatoren ist kein weiteres Gremium, das Zeit und Kosten bedeutet, sondern die verbindende Klammer, in der die Übergaben und gemeinsame Abstimmungen erfolgen.
Das besondere und auch der Unterschied zu den bisherigen Diensten:
Jeder Teilbereich hat einen eigenen „Wert“ und eine eigene „Bedeutung“. Weiterhin wird auf eine gute Qualifikation und permanente Schulung der Mitarbeiter besonders Wert gelegt.
Was kann ich mir für die Zukunft neben den derzeitigen vorhandenen digitalen Hilfen vorstellen?
- Regelmäßige Tele- Beratung und Informationsaustausch mit Patienten und Angehörigen durch Leitungs- oder Beratungsfachkräfte im Pflegedienst.
- InfoCenter im Pflegedienst oder Pflegezentralen (vergleichbar Hausnotruf heute), in denen vereinbarte Informationen über die Wohnung und/oder den Patienten eingehen, um Sicherheit zu erhöhen.
- Es gibt viele Testphasen und Modelle, die die Arbeit in der ambulanten Pflege erleichtern können oder die Sicherheit von Patienten zu Hause verbessern helfen.
- § 37.3 SGB XI Beratung: Ein Erstbesuch und eine Erstberatung beim § 37.3 SGB XI Einsatz findet immer „vor Ort“ beim Patienten statt. Bei Gästen von Tagespflegen, die mindestens einmal pro Woche in die Tagespflege kommen, könnte dann in Folge der § 37.3 Beratungseinsatz über Skype o.ä. mit den Pflegebedürftigen und Angehörigen durchgeführt werden mit dem Ziel, einer Reduzierung der Fahrzeiten von Pflegefachkräften und somit einem Gewinn weiterer Pflegezeit für die pflegerische Versorgung von anderen Patienten.
- Beratung und Pflege in der Sozialstation/ im Pflegedienst: Mobile Kranke und Pflegebedürftige aus der Nachbarschaft des Pflegedienstes kommen in die Räume des Pflegedienstes und werden dort versorgt mit dem Ziel einer Reduzierung der Fahrzeiten von Pflegefachkräften und somit ebenfalls einem Gewinn weiterer Pflegezeit für die pflegerische Versorgung von anderen Patienten.
- Pflegeroboter oder weitere mechanische Arbeitshilfen sehe ich derzeit aber eher im stationären als im ambulanten Bereich.
- Und die zentrale Frage für viele Inhaber/innen und Geschäftsführungen in der ambulanten Pflege lautet: „Wo stehe ich?“ „Wie kann ich sinnvoll meinen Dienst weiterentwickeln?“
- Die ambulante Pflege ist derzeit deutlich im Umbruch. Viele ambulante Pflegedienste der Kommunen, Wohlfahrt oder inhabergeführt stehen vor der Frage, wie deren Perspektive in den nächsten 5 – 10 Jahren aussieht.
- Viele Inhaber von Pflegediensten, die Anfang der 90er Jahre ihren Pflegedienst gegründet haben, stehen kurz vor der Rente. Ca. 3.-4.000 Pflegedienste (von derzeit 15.549) werden den Inhaber wechseln. Wenn keine familiäre Nachfolge oder eine Weiterführung durch die Pflegedienstleitung möglich ist, steht ein Unternehmensverkauf an.
- Sind Sie für die Zukunft gerüstet?
- Meine Frage- und Checkliste als Angebot für Sie als Inhaber/in oder Geschäftsführung:
- Was ist meine strategische Planung für die nächsten 5 – 10 Jahre? Wann leite ich welche Schritte dazu ein?
- Kennen und wissen meine Führungskräfte und meine Mitarbeiter meine Ziele, mein Leitbild, meine Leitsätze?
- Sind meine Führungskräfte und Mitarbeiter an den inhaltlichen und wirtschaftlichen Themen beteiligt?
- Wie ist die Eigen- und Fremdsicht meines Pflegedienstes?
- Kann mich jemand im Internet mit authentischen Bildern und verständlicher Sprache finden?
- Werbe ich mit meinen KFZ, Büroräumen, Dienstkleidung der Mitarbeiter?
- Wie ist mein Beratungsmanagement derzeit organisiert? Wer macht Beratung? Was habe ich für Arbeitshilfen? Gibt es einen Privatzahlerkatalog? Wie lautet meine Kennzahl „Umsatz pro Patienten“ dazu?
- Wie wird mein Personalmanagement betreiben und organisiert?
- Wie bin ich auf eine Initiativbewerbung per Email vorbereitet? Oder auf einen spontanen Besuch eines Interessierten?
- Was gibt es für finanzielle und sonstige Angebote für die Mitarbeiterschaft?
- Wie lebensphasen- und generationsorientiert leiten meine Führungskräfte?
- Werde ich als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen?
- Wie wird mein Planungsmanagement betrieben und organisiert?
- Wie sieht meine verlässliche Dienstplanung aus?
- Wie inhaltlich und wirtschaftlich effizient sind die Touren geplant?
- Wie wird mein Organisationsmanagement betrieben?
- Wie habe ich das Qualitätsmanagement organisiert?
- Gibt es ein zeitnahes Controlling? Sind den Führungskräften und Mitarbeiter Grunddaten bekannt?
- Habe ich entsprechende Rahmenbedingungen für die häusliche Pflege verhandelt?
- Wie ist mein Marketing? Werde ich als attraktiver Pflegedienst von Patienten und potenziellen Mitarbeitern wahrgenommen?
Mein Fazit für die Zukunft:
- Der Weg zu einem zukunftsfähigen Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst ist das Ziel. Beginnen sollte man jetzt.
- In den nächsten Jahren werden ca. 3.-4.000 Pflegedienste den Inhaber alters- oder gesundheitsbedingt wechseln. Nutzen Sie mögliche Chancen, Dienste zu übernehmen, wenn es für Sie Sinn macht.
- Der Vertrauensbonus zu kirchlichen Trägern schwindet weiter. Eine Chance für nicht-konfessionelle oder inhabergeführte Pflegedienste.
- Die Zukunft ist nicht nur düster. Es gibt heute Pflegedienste, die wöchentlich Initiativbewerbungen und –anfragen von Fach- und Betreuungskräften erhalten und wachsen.
- Pflegedienste mit guter qualitativer Arbeit und inhaltlichen Weiterentwicklungen sind i.d.R. auch wirtschaftlich erfolgreich. Zusammen in Netzwerken und im Quartier aufgestellt haben sie gute Chancen für die Zukunft.
- Ich wünsche Ihrem ambulanten Beratungs-, Betreuungs- und Pflegedienst eine gute Perspektive.