Die erste Antwort lautet: ja, aber. Die zweite Antwort: Es kommt darauf an.
Gehen wir mehr ins Detail, um diese interessante Frage besser beantworten und begründen zu können und fangen wir mit Daten aus der Pflegestatistik an.
Seit Dezember 1999 wird die Pflegestatistik von den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder alle zwei Jahre durchgeführt. „Ziel der Statistik ist es, Daten zum Angebot von und der Nachfrage nach pflegerischer Versorgung zu gewinnen.“ (Pflegestatistik 2019, Vorbemerkung)
Im Dezember 2019 waren 4,1 Millionen Menschen in Deutschland anerkannt pflegebedürftig, das sind 20,9 % bzw. 713.000 Menschen mehr als 2017. 80 % der Pflegebedürftigen sind 65 Jahre und älter. 62 % der Pflegebedürftigen sind weiblich. Die Prognosen für die nächsten Jahre gehen von weiter steigenden Zahlen aus.
2.120 000 Pflegebedürftige haben Pflegegeld erhalten und sind somit i.d.R. durch Angehörige unterstützt worden. 980.000 Pflegebedürftige haben Hilfe von ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten erhalten.
Darüber hinaus gibt es eine weitere Gruppe von 210.000 Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 und entsprechendem geringen Unterstützungsbedarf.
Pflegedienste betreuen Ende 2019 153.000 Pflegebedürftige (18,4%) mehr als Ende 2017. Die Anzahl der Pflegegeldempfänger stieg um 352.000 (19,9 %).
Die Anzahl der ambulanten Pflege- und Betreuungsdienste in Deutschland ist zum Stichtag 15.12.2019 von 14.050 (Daten Pflegestatistik 2017) um 4,54 % auf 14.688 ambulante Dienste gewachsen.
Im gleichen Vergleichszeitraum ist die Anzahl der Tagespflegen von 4.455 um 18,2 Prozent auf 5.264 Tagespflegen gewachsen.
Die Anzahl der Tagespflegeplätze ist in Deutschland zwischen 2017 und 2019 um 24,3 % auf 82.639 Plätze gestiegen:
Eine sehr große Zunahme somit sowohl an Tagespflegen wie auch an Plätzen.
Auch im Jahr 2020 und 2021 gehen jeden Monat weitere neue Tagespflegen in Betrieb bzw. befinden sich in der Bauphase. Dies ist sicherlich mit den verbesserten Rahmenbedingungen durch die Pflegestärkungsgesetzes II und III zu erklären.
Die Zunahme der Tagespflegen und -plätze ist jedoch nicht in allen Bundesländern parallel erfolgt. Da es keine offiziellen Vergleichsübersichten in den einzelnen Bundesländern gibt, haben wir in Zusammenarbeit mit dem Vincentz-Network Anfang 2019 eine Abfrage bei den AOK Landesverbänden durchgeführt und mit Bevölkerungsdaten der Bundesländer verglichen. Auch eine weitere Differenzierung nach der Bevölkerung über 65 Jahre (Hauptzielgruppe der Tagespflege) hat zu keinen anderen Ergebnissen geführt:
Die meisten Tagespflegeplätze gibt es im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit über 13.200 Plätze.
Aber im Verhältnis der Plätze bezogen auf die Bevölkerung sind die TOP 3 Bundesländer:
- Mecklenburg-Vorpommern mit einem Tagespflegeplatz für 388 Bürger
- Brandenburg mit einem Tagespflegeplatz für 574 Bürger
- Thüringen mit einem Tagespflegeplatz für 639 Bürger.
Die Schlusslichter sind:
14) Hessen mit einem Tagespflegeplatz für 1. 574 Bürger
15) Bayern mit einem Tagespflegeplatz für 1.719 Bürger
16) Hamburg mit einem Tagespflegeplatz für 1.918 Bürger
Hätten Sie es gewusst?
Ein erstes Fazit aus den Statistikdaten: Die Pflegebedürftigkeit nimmt weiter zu, die Anzahl der Tagespflegen und -plätze sind stark angestiegen und die Versorgungsdichte mit Tagespflegeplätzen hat sich in den Bundesländern sehr unterschiedlich entwickelt.
Dies hat auch dazu geführt, dass z.B. in Nordrhein-Westfalen nach der Erstellung einer Pflegebedarfsplanung und – fortschreibung einzelne Landkreise ein Stopp von weiteren Tagespflegeplanungen aussprechen können.
In einigen Regionen in Deutschland scheint es jetzt auch schon eine regionale Marktsättigung von Tagespflegeplätzen zu geben. Träger melden abnehmende Belegungen, freie Plätze und zum Teil defizitäre Ergebnisse.
Marktanalyse
Als einen ersten wichtigen Schritt für die Fragestellung, ob ein ambulanter Pflegedienst noch eine neue Tagespflege planen und betreiben sollte, ist eine aussagekräftige Marktanalyse zu erstellen. Folgende Fragen mögen dabei helfen:
Wie viele Menschen leben im Einzugsbereich von ca. 15 km um den geplanten Standort?
Wie viele Tagespflegen und- plätze sind schon vorhanden?
Wie viele Patienten werden durch den ambulanten Pflegedienst im Einzugsbereich der geplanten Tagespflege derzeit versorgt?
Wie viele Plätze sollen in der eigenen Tagespflege neu entstehen?
Ist der geplante Standort attraktiv, gut erreichbar, kann er gut angefahren werden, gibt es einen attraktiven Garten oder Außenbereich?
Kann die Tagespflege ein Alleinstellungsmerkmal aufgrund des Gebäudes, der Lage, der Rahmenbedingungen, des Konzeptes erreichen?
Standort, bauliche Möglichkeiten, inhaltliches differenziertes Konzept
Weitere Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Tagespflege sind u.a. ein geeigneter Standort, gut bauliche Rahmenbedingungen und ein inhaltlich differenziertes Konzept. Eine Tagespflege auf zwei Etagen ist grundsätzlich möglich, erschwert aber die Betreuung durch die Mitarbeiterschaft. Tagespflegen mit 5 Öffnungstage pro Woche und Öffnungszeiten von 8.30 – 16.00 h gibt es viele. Kann Ihre Tagespflege sich davon unterscheiden, abheben? Planen Sie vielleicht zusätzliche Samstags-Angebote oder eine Spätbetreuung in der Woche? Differenzierte Angebote oder Konzepte können für Gäste und Angehörige interessant und somit zu einer Annahme Ihrer Tagespflege führen.
Die Tagespflege muss gut mit dem ambulanten Dienst verbunden werden
Die Tagespflege kann gerade für alleinstehende Patienten Ihres Pflegedienstes einen „Tag in Gemeinschaft“ sein und so der Vereinsamung entgegenwirken, so wie es auch die Politik in der Gesetzgebung definiert hat. Als zweites Ziel der Tagespflege ist die Entlastung der Angehörigen benannt, so dass die pflegebedürftige Person gut betreut und versorgt wird und der Angehörige einen Tag zur Erholung erhalten kann.
Daher könnten, wenn man ambulante Pflege und Tagespflege aus Sicht des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen denkt, diese beiden Unterstützungsformen eine hilfreiche, sich ergänzende Form darstellen. Der Gesetzgeber hat für Pflegebedürftige unterstützende Rahmenbedingungen durch die beiden Pflegebudgets ambulant und Tagespflege geschaffen.
Die Praxis ist häufig aber eine andere:
- Wenn ein Patient in die Tagespflege gehen soll, muss evtl. die ambulante Tour umgestellt werden oder die Pflegekraft früher anfangen, damit der Patient auch versorgt ist, wenn der Fahrdienst kommt.
- Und wenn der Patient mehrmals die Woche in die Tagespflege geht, muss fast jeden Tag die ambulante Tour angepasst werden.
- Mittagseinsätze fallen für die ambulante Pflege weg, somit auch Einnahmen.
Und nicht selten berichten Tagespflege-Leitungen, dass mit dem eigenen ambulanten Pflegedienst oder mit ambulanten Kooperationspartnern wenige Kontakte und Absprachen bestehen.
Natürlich kann eine Zusammenarbeit nicht erzwungen werden. Bei einem Träger mit ambulanter Pflege und Tagespflege sollte jedoch eine gemeinsame Absprache und gegenseitige Abstimmung unbedingt erfolgen. Dann können Synergieeffekte erreicht und verbesserte Hilfe den Patienten angeboten werden.
Eine Tagespflege-Leitung und eine ambulante Pflegedienstleitung sollten daher regelmäßig die Rahmenbedingungen und die Situation der Patienten/ Gäste miteinander besprechen und gemeinsam planen.
Es kann jetzt noch die Zeit richtig sein, eine Tagespflege zu planen, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen beachtet werden und eine enge Zusammenarbeit von ambulant und Tagespflege vorgesehen ist.
Unsere ergänzenden TIPPs:
- Vernetzen Sie das Tagespflegeangebot gut mit Ihren anderen Diensten und Einrichtungen. Eine mögliche Organisationsstruktur für ein Verbundmodell ambulant-Tagespflege können so aussehen:
Weitere hilfreiche Kennzahlen:
- Ca. 40 % der ambulanten Patienten sind potenzielle Tagespflege-Gäste
- Planen Sie nicht zu klein und nicht zu groß. 18 – 24 Plätze mit verschiedenen Gruppenangeboten sind noch familiär, aber auch betriebswirtschaftlich sinnvoll zu führen