Innerhalb der letzten 13 Monate ist die Zahl der Tagespflegen in Deutschland deutlich gestiegen. Gab es am 15.12.2017 lt. Pflegestatistik (Destatis) 4.455 Tagespflegen, so gibt es aktuell über 5.000 Tagespflegen. Und jeden Monat kommen noch neue dazu.
Die durchschnittliche Platzzahl einer Tagespflege ist von 11,7 auf 15,25 Plätze gewachsen. Betriebswirtschaftlich gesehen beträgt der Jahresumsatz der Tagespflegen in Deutschland derzeit ca. 1,5 Mrd. €.
In ersten Regionen scheint es eine Marktsättigung von Tagespflegeplätzen zu geben. Träger melden freie Plätze und zum Teil negative Betriebsergebnisse.
Umso wichtiger wird es, dass Träger und Inhaber von Tagespflegen ein zeitgemäßes Controlling vorhalten, um die Entwicklung der eigenen Tagespflege zeitnah und erfolgreich zu steuern.
Welche Kennzahlen sind dafür wichtig?
Ein gutes EDV-gestütztes Rechnungswesen kann den Verbrauch von Wurstscheiben am Montag und Dienstag im Verhältnis von Männern und Frauen im Vergleich zu anderen Öffnungstagen errechnen und darstellen. Oder den Verbrauch von Getränken in der Tagespflege im März im Vergleich zum Oktober im Verhältnis der Frauen und Männer. Macht das Sinn? Ich meine, nein.
Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ schlage ich vor, die Tagespflege mit 10 +1e Kennzahlen im Rahmen eines monatlichen Controllings zu steuern.
Diese sind:
Kennzahl 1: Belegung (Entwicklung der Belegung)
Kennzahl 2: Verträge ÷ Plätze (Verhältnis der abgeschlossenen Verträge zu den vorhandenen Plätzen
Kennzahl 3: Personalkosten (Planung und Entwicklung der Kosten)
Kennzahl 4: Sachkosten (Planung und Entwicklung der Kosten)
Kennzahl 5: Investition (Aufwand–Ertrag)
Kennzahl 6: Krankenquote (der Mitarbeiter)
Kennzahl 7: Überstunden (Entwicklung der Überstunden)
Kennzahl 8: zusätzliche Betreuung (Aufwand-Ertrag)
Kennzahl 9: Fahrdienst (Aufwand-Ertrag)
Kennzahl 10: Unternehmerisches Risiko
Kennzahl 11: Ergebnisentwicklung gesamt
Kennzahl 1: Belegung (Entwicklung der Belegung)
Mit den Pflegekassen werden Pflegesätze auf der Basis einer gemeinsam abgestimmten Kalkulation von prospektiven Personal- und Sachkosten, einer Pflegegradverteilung und einer Belegung vereinbart.
Diese Belegungsannahme variiert je nach Bundesland (z.B. Sachsen 80 %, Hessen 85 %, Schleswig-Holstein 90 % usw.) in Abhängigkeit auch davon, ob es in dem jeweiligen Bundesland eine Ausfallregelung für kurzfristige Absagen von Gästen gibt.
Die tatsächlichen Belegungstage pro Tagespflegegast müssen für die monatliche Rechnungsstellung (und z.T. für die Meldung an die Heimaufsicht) täglich erfasst werden und liegen somit am letzten Öffnungstag eines Monats der Tagespflegeleitung vor.
Ein Rückgang der Belegung muss einerseits zur „aktiven Akquise“ und Marketing-Aktivitäten und andererseits zu Anpassungen bei der Personaleinsatzplanung seitens der Leitung führen.
Kennzahl 2: Verträge ÷ Plätze (Verhältnis der abgeschlossenen Verträge zu den vorhandenen Plätzen)
Dies ist vielleicht eine eher unbekannte Kennzahl, die das Potential der Gäste einer Tagespflege beschreibt. Untersuchungen und Erfahrungen haben ergeben, dass Tagespflegen mit dem Faktor 2,5 – 3 (Beispiel: 40 Verträge mit Gästen bei 15 anerkannten Plätzen) eine hohe Belegung vorweisen. Bei einem Rückgang dieser Kennzahl bzw. bei einem geringen Faktor muss seitens der Leitung mehr „aktive Akquise“ durchgeführt werden.
Kennzahl 3: Personalkosten (Planung und Entwicklung der Kosten)
Die Kalkulation für einen Pflegesatz geht davon aus, dass auf der Basis der prospektiven Belegungstage und der kalkulierten Personal- und Sachkosten ein auskömmliches Ergebnis erreicht werden kann.
Wenn IST-Personalkosten oberhalb der SOLL-Planung ohne eine höhere Krankenquote als Begründung oder eine höhere Belegung durch Gäste entstehen, so ist zu vermuten, dass zu viel Personalstunden verbraucht werden. Die Personaleinsatzplanung ist zu überprüfen.
Kennzahl 4: Sachkosten (Plan und Entwicklung der Kosten)
Wie auch bei den Personalkosten werden Sachkosten prospektiv vom Träger kalkuliert und im Rahmen der Pflegesatzverhandlung vereinbart. Eine Abweichung der Sachkosten vom SOLL ohne eine Abweichung vom Belegungs-SOLL ist zu vermeiden und muss bei einer festgestellten Abweichung zu Handlungsschritten führen.
Kennzahl 5: Investition (Aufwand – Ertrag)
Je nach Bundesland werden i.d.R. mit dem Sozialhilfeträger die Investitionskosten der Tagespflege (Kreditkosten oder Miete, Abschreibung des Inventars etc.) festgestellt und berechnet, der als Investitionssatz pro Belegungstag beschieden wird. In einigen Bundesländern werden die Investitionskosten vom Sozialhilfeträger, in anderen Bundesländern teils-teils und in weiteren Bundesländern nur von den Tagespflegegästen neben dem Pflegesatz und der Kosten für Unterkunft und Verpflegung finanziert.
Eine Abweichung der Erstattung der Investitionsaufwendungen vom SOLL entsteht häufig bei einer niedrigeren Belegung als geplant und ist auch im ersten Betriebsjahr, dem „verflixten ersten Jahr“ üblich.
Hier kann an der Höhe der Investitionen i.d.R. nichts verändert werden, eine Verbesserung der Refinanzierung erfolgt nur durch eine höhere Belegung.
Kennzahl 6: Krankenquote (der Mitarbeiter)
Die Krankenquote der Mitarbeiter ist abhängig von einer Reihe von Faktoren, die die Leitung z.T. beeinflussen, z.T. nicht beeinflussen kann.
Wird eine Mitarbeiterin z.B. durch ein Krebsleiden schwer krank oder bricht sich ein Fahrer den Fuß, so fallen beide Kräfte länger aus und müssen ersetzt werden, was eine gewisse Zeit doppelte Personalkosten bedeutet.
Gibt es im Team eine schlechte Stimmung durch ein cholerisches Leitungsverhalten oder längere Diskussionen bzgl. der Zuordnung der einzelnen Tätigkeiten, so merken dies nicht nur die Gäste (und ihre Angehörigen), sondern führt dies auch zu einer höheren Krankenquote. Letztes kann die Leitung einer Tagespflege verbessern und durch ihr Leitungshandeln beeinflussen.
Die Entwicklung der Krankenquote pro Monat in Verbindung mit der Begründung der Krankentage (soweit bekannt) muss seitens der Leitung monatlich betrachtet werden.
Kennzahl 7: Überstunden (Entwicklung der Überstunden)
Mit den Pflegekassen ist im Rahmen der prospektiven Pflegesatzver-handlung ein Stellenplan für die Tagespflege verhandelt und vereinbart worden, der häufig in VK (Vollzeitstellen) angegeben wird. 5,24 VK bedeutet z.B., dass für die Tagespflege differenziert nach Anteilen der Leitung, examinierten Kräften, Pflegehelfern und Betreuungskräften, Hauswirtschaftskräften und Verwaltung insgesamt 5,24 Vollzeitstellen kalkuliert werden. Dies ist ohne die „zusätzliche Betreuung“.
Eine Tagespflege sollte i.d.R. nur geringe bis keine Überstunden aufweisen, außer, sie hat eine höhere als kalkulierte Belegung oder eine höhere Krankenquote. Für die Leitung bedeutet eine Feststellung von Überstunden ohne Begründung, die Personaleinsatzplanung zu überprüfen.
Kennzahl 8: zusätzliche Betreuung (Aufwand-Ertrag)
Neben dem Personal, dass im Pflegesatz verhandelt wird, kann ein Träger eine „zusätzliche Betreuung nach § 43b SGB XI“ beantragen und verhandeln. Es gibt neben dem Pflegesatz eine weitere Vereinbarung über einen Tagessatz der „zusätzlichen Betreuung“.
Die „zusätzliche Betreuung“ heißt so, weil sie „zusätzlich“ zum bestehenden Personal hinzukommt und die Betreuungssituation in stationären Heimen und Tagespflegen verbessern soll.
Das eingesetzte Personal muss einen Qualifikationsnachweis gem. § 43 b (vormals § 87 b SGB XI) vorweisen. Der Personalschlüssel beträgt deutschlandweit 1:20, d.h., bei 20 anerkannten Tagespflegeplätzen kann eine Tagespflege 1,0 VK zusätzliche Betreuung beantragen. Tagespflegen mit mehr oder weniger Plätzen anteilig.
Der Aufwand für die zusätzliche Betreuung (i.d.R. Personal- und geringe Sachkosten) und die Erstattung dafür muss ebenfalls monatlich überprüft werden. Bei abweichender Belegung muss die zusätzliche Betreuung angepasst werden.
Kennzahl 9: Fahrdienst (Aufwand-Ertrag)
„Die teilstationäre Pflege umfasst auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück“, § 41 SGB XI. Jede Tagespflege muss daher klären, ob sie einen eigenen Fahrdienst anbietet oder mit Taxen- oder Mietwagenunternehmen eine Kooperation eingeht. Nach eigenen Untersuchungen haben ca. 75 % aller Tagespflegen in Deutschland einen eigenen Fahrdienst. Die Zahl liegt deutlich höher, wenn die Tagespflege mehr als 18 Plätze vorhalten und ein ambulanter Pflegedienst mit im Pflegeunternehmen vorhanden ist.
Der Aufwand für den Fahrdienst (Personal- und Sachkosten) sollte durch die Erträge für den Fahrdienst gedeckt sein. Es ist daher regelmäßig der Fahrdienst seitens der Wirtschaftlichkeit, aber auch der effektiven Tourenplanung zu überprüfen.
Kennzahl 10: Unternehmerisches Risiko
Das unternehmerische Risiko in der stationären Pflege wird als branchen-unabhängige Komponente mit 4 % und als branchenspezifische Komponente mit 0,84 bis 1,62 % jeweils vom Gesamtbudget festgestellt, so eine Studie des Instituts für Europäische Gesundheitswirtschaft in Verbindung mit Contec im Auftrag des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA).
In der aktuell veröffentlichten Studie „Unternehmerisches Wagnis in der ambulanten Pflege“ wird für diesen Sektor neben 4 % branchenunabhängig als branchenspezifisch 0,95 – 2,47 % (Mittelwert 1,39 %) errechnet (IEGUS Institut, Contec GmbH, 2019).
Eine Tagespflege beinhaltet sowohl „stationäre wie auch ambulante Komponenten“, so dass neben 4 % branchenunabhängig zusätzlich 1,5 % branchenabhängig vom Gesamtbudget aufgrund des höheren Ausfallrisikos wegen kurzfristiger Absagen anzusetzen sein sollte.
In den Pflegesatzverhandlungen der Tagespflege ist dies sehr häufig ein Streitthema zwischen dem Träger und den Arbeitsgemeinschaften der Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern. Trotzdem sollte jeder Träger dies nicht nur entsprechend beantragen und einfordern, sondern auch im monatlichen Controlling prüfen, ob sein Monatsergebnis das unternehmerische Risiko abgedeckt hat.
Kennzahl 11: Ergebnisentwicklung gesamt
Die für die Träger und Inhaber wichtigste Kennzahl ist die Ergebnisentwicklung insgesamt, also das Ergebnis von Erträgen und Aufwendungen in der Tagespflege. Da die Öffnungstage pro Monat verschieden sind und z.T. noch durch Feiertage zusätzlich beeinflusst werden, sind die Aufwendungen häufig ähnlich hoch, die Erträge jedoch schwankend und abweichend. Das Risiko der kurzfristigen Absagen von geplanten Gästen ist nicht zu unterschätzen. „Mir geht es nicht gut, ich komme heute nicht“ als Anruf morgens um 7.30 h oder beim Abholen dem Fahrer mitgeteilt, bedeutet je nach Bundesland nach eine Erstattung als Ausfallregelung von 0 % bis 75 % des Tagessatzes.
Somit ist die Kennzahl 11 im Rahmen des monatlichen Controllings das Ergebnis von guter Beratung und erfolgreicher Akquise, guter Einsatzplanung, guter Tourenplanung des Fahrdienstes, sorgsamem Umgang mit den Sachkosten etc.
Ich berücksichtige bei den Kennzahlen und dem Controlling nicht
- die Pflegegradverteilung, da in vielen Bundesländern zwischen Pflegegrad 2 und 5 nur ein geringer Unterschied im Pflegesatz verhandelt ist und Tagespflegen schwerpunktmäßig Tagespflegegäste mit Pflegegrad 2-4 betreuen.
- die Erfahrung der Leitung und des Teams. Dieser Punkt ist u.a. relevant bei einer Bewertung der Tagespflege im Rahmen einer Unternehmensnachfolge.
Ergänzungen und Erläuterungen:
- Daten müssen gedeutet werden. Aus der Erhebung und Bewertung von Kennzahlen müssen Aktionen und Handlungsschritte erfolgen. Ein monatliches Controlling mit Kennzahlen ohne Auswertungs-gespräch zwischen Leitung und Träger/ Inhaber ist Selbstzweck und sinnlos. Bei einer stabilen Entwicklung und einer gut gesteuerten Tagespflege kann ein Auswertungsgespräch nach 15 Minuten mit einem Lob an die Leitung beendet sein.
- Was ist mit aktiver Akquise gemeint?
Eine Tagespflege ist kein Selbstläufer, selbst wenn im Trägerverbund noch ein ambulanter Pflegedienst oder betreutes Wohnen vorhanden ist.
Aktive Akquise meint, dass seitens der Leitung eine gute Beratung, eine gezielte Ansprache der vorhandenen Gäste, Interessierter und deren Angehöriger, Betreuer, etc. stattfinden muss. Aktuelle und ansprechende Informationen auf der Homepage, Flyer, soziale Medien, KFZ Beschriftung muss vorhanden sein.
- Das „verflixte erste Jahr“:
In der Regel kann im ersten Betriebsjahr keine Kostendeckung aufgrund der Anlaufkosten der ersten Wochen und Monate erreicht werden. Je nach Vorbereitung vor der Eröffnung kann eine Tagespflege mit 10 – 60 % der möglichen Belegung beginnen. Nach 6 – 9 Monaten sollte und kann eine Tagespflege in der monatlichen Kostendeckung sein, wenn sie erfolgreich gesteuert wird.
Eine Tagespflege sollte für diese Kennzahlen ein monatliches Controlling haben, das seitens der Leitung oder Verwaltungsassistenz jeweils zu Beginn des neuen Monats mit geringem Aufwand ausgefüllt werden kann, für die Tagespflege in der ersten Woche im neuen Monat eine gute Aussage über die vergangenen vier Wochen und die Entwicklung der Tagespflege insgesamt geben kann und der Leitung bei Korrektur- oder Veränderungsbedarf hilfreich ist.
Excel-basierte Arbeitshilfen und ein Kennzahlensystem für Tagespflegen sind beim Autor auf Anfrage erhältlich.
Hallo Herr Wawrick,
hinter der Annahme, dass eine hohe Anzahl an Verträgen pro Tagespflegeplatz zu einer hohen Auslastung führt, steckt ja vermutlich, dass eine größere Anzahl Menschen das Ausfallrisiko reduziert. Wenn ich aber mit einer kleinen Anzahl Gäste meine Einrichtung voll auslaste (weil z. B. alle Gäste jeden Tag kommen), dann ist der Hinweis, es wäre Aquise nötig, irgendwie irreführend. Ich habe ja gar keine freien Plätze, für die ich aquirieren könnte.
Viele Grüße
Hallo Frau Becker,
schaut man sich andere Beiträge auf der Plattform an, so könnte man auf die Idee kommen, daß nicht – wie bei manchen Airlines angeblich üblich – frech überbucht werden soll, sondern es sich hier um eine Kenngröße in einem Verbund ambulanter und teilstationärer Einrichtungen handele und die Frage gestellt werde, mit wievielen Patienten man insgesamt in einer Geschäftsbeziehung stehe und welche anstelle von bzw. ergänzend zu ambulanten Leistungen teilstationäre in Anspruch nehmen würden. Als Beispiel fiele mir die wöchentliche Benutzung einer nicht nur scheinbar behindertengerechten Badewanne ein, die häufig in den Haushalten entweder aus Platzgründen oder wegen mangelnder Leistungsfähigkeit der Therme nicht installiert werden kann.
Schließlich böte ein einmal durch beharrliche Nichterfüllung gestörter Vertrag wenig Aussicht auf zukünftige Umsätze. Die Realität sieht aber wohl anders aus.
Auf Nachfrage erschöpft sich das Angebot der Plegeeinrichtung häufig in einem Platz auf der Warteliste, obwohl damit weder das Bedürfnis des Patienten befriedigt noch dieser zur Treue gegenüber der Einrichtung verpflichtet werden kann.
Dennoch wird das Angebot wohl oder übel angenommen werden. Und wenn es die Auslastung der Einrichtung dereinst einmal notwendig erscheinen ließe, das mit viel Energie und Zeitaufwand erworbene Wartelistenpotential zu heben, werden zum allgemeinen Erstaunen etliche Wartelistenplatzinhaber entweder anderweitig versorgt, verzogen oder verstorben sein.
Ich hätte Interesse an den Excel-basierte Arbeitshilfen und dem Kennzahlensystem für Tagespflegen, wie kann ich diese bekommen